Cross vs. Gravel: Die unbefestigten Wege durch unsere Wälder und Felder erleben in diesem Winter eine ganz besondere radsportliche Konstellation, die es in ihrer Intensität so wohl noch nicht gegeben hat. Denn mehr als je zuvor treffen zwei ganz besondere Phänomene des Radsports aufeinander.
Auf der einen Seite die Querfeldein-Maschine, neudeutsch auch Cyclocrosser, die sich zuverlässig seit Jahrzehnten jede Saison zwischen Oktober und Februar besonderer Beliebtheit erfreut. Und auf der anderen Seite das Gravelbike, das vom hippen Trend mittlerweile voll in der Mitte der Fahrradwelt angekommen ist.
Wer sich jetzt zwei typische Vertreter dieser Gattungen anschaut könnte meinen, dass sie sich auf den ersten Blick ziemlich ähneln. Doch bei genauerer Betrachtung fallen einige Unterschiede auf. Welche das sind? Wir zeigen sie euch:
UNTERSCHIED 1: DIE GEOMETRIE
Der wohl wichtigste Unterschied zwischen dem Crosser und dem Gravelbike ist mit dem bloßen Auge nur schwer auszumachen. Denn veränderte Rohrdimensionen oder Winkel lassen sich einfach viel besser fühlen als sehen.
Und genau darum geht es: Das Gefühl und die Sitzposition auf dem Rad. Denn der Cyclocrosser ist ein Wettkampfrad in seiner reinsten Form. Mit agilem Handling, aggressiver Sitzposition und unbändigem Vorwärtsdrang.
Bei dem optisch so ähnlichen Gravelbike hingegen geht es zumindest typischerweise genau in die andere Richtung. Das Steuerrohr ist länger, der Vorbau kürzer, der Lenker breiter, die Kettenstrebe länger, um nur einige Aspekte zu nennen. Kurzum: Alles ist etwas entspannter, etwas bequemer. So ähnlich wie beim Unterscheid zwischen einem reinrassigen Rennrad und einem komfortableren Langstreckenrenner.
UNTERSCHIED 2: LAUFRÄDER UND REIFEN
Große Auswirkungen auf das Fahrverhalten, auf den Komfort und damit auch auf den Charakter des Fahrrads haben die Laufräder und Reifen. Hier finden sich im Wortsinn dicke Unterschiede.
Denn wo beim Crosser schon aufgrund der Wettkampregularien bei einer Reifenbreite von 33 Millimetern Schluss ist, fängt der Spaß beim Gravelbike gerade mal so langsam an. Als Standard haben sich hier mittlerweile etwa 40-42 Millimeter etabliert, wobei manche Modelle auch Platz für mehr als 50 Millimeter breite Pneus bieten, mit denen das Gravelbike schon mehr einem Mountainbike als einem Rennrad ähnelt, speziell wenn dann gar noch eine Federgabel verbaut ist.
Um Platz für die breiten und entsprechend voluminöseren Reifen zu schaffen, werden diese häufig auf kleineren 650b-Laufrädern (27,5 Zoll) montiert. Doch auch 29-Zoll-Laufräder lassen sich in der diversen Welt der Gravelbikes finden.
UNTERSCHIED 3: MONTAGEPUNKTE
Unnötiges Zubehör? Hat am puristischen Crosser nichts verloren. Maximal ein Satz Schutzbleche für den Einsatz beim Training in Matsch, Schnee oder Regen geht vielleicht noch durch, dazu Licht für die kurzen Tage.
Das Gravelbike hingegen mutiert, je nach Modell und Vorliebe, gerne mal zum echten Lastenesel. Zwar lassen sich Bikepacking-Taschen in der Regel auch am Crosser – oder so ziemlich jedem anderen Fahrrad anbringen – mehr und mehr Gravelbikes bieten jedoch spezielle Lösungen.
Von in den Rahmen integrierten Staufächern über speziell entwickelte Taschen bis hin zu zahlreichen Aufnahmen oder Bohrungen zur Montage von Haltern, Schutzblechen, Gepäckträgern und mehr.
UNTERSCHIED 4: DER ANTRIEB
Einen eher kleinen, dafür aber knackigen Unterschied zwischen den beiden Sportrad-Gattungen bildet auch der Antrieb. Weniger vorne an der Kurbel, wo sich sowohl beim Crosser als auch beim Gravelbike das Einfach-Kettenblatt mehr und mehr durchsetzt. Schließlich bietet es sowohl beim oft schlammigen Renneinsatz, in dem jede Sekunde zählt, als auch auf epischen Bikepacking-Trips eine besonders zuverlässige, wartungsfreie Lösung.
Der Unterschied liegt eher am Hinterrad und hier speziell bei der Kassette. Denn während es beim Cross vor allem um das kraftvolle Ersprinten kurzer, steiler Stiche geht, warten auf das Gravelbike auch mal endlos lange Kletterpartien in wilden Bergregionen.
Entsprechend werden hier gerne besonders breit abgestufte Übersetzungen mit möglichst großem Ritzel gewählt. Beim Querfeldein hingegen kommen eher enger abgestufte Kassetten für noch geschmeidigere Gangwechsel zum Zug. Doch ganz gleich welche Variante bevorzugt wird: Mit den zahlreichen Optionen der Shimano GRX Schaltgruppen findet jeder die passende Übersetzung, egal ob für Crosser oder Gravelbike.
UNTERSCHIED 5: DER EINSATZZWECK
Die dann also doch gar nicht so unbedeutenden Unterschiede in den Details haben einen ganz wesentlichen Grund: die unterschiedlichen Einsatzbereiche. Denn beim Cross geht es vor allem um kurze, extrem intensive Rennen. Bei den Profis dauert so ein Rennen rund eine Stunde, im Hobbybereich sogar meist nur 30 Minuten.
Dafür geht es auf den wenige Kilometer kurzen Rundkursen aber um die permanente Jagd am Limit. Hier sind die leichten, wendigen Flitzer klar im Vorteil. Das Gravelbike wiederum mag neben der flotten Runde im Feierabend gerne auch mal die richtig langen Distanzen.
Bei den bekanntesten Rennen wie dem Unbound Gravel im US-Amerikanischen Kansas benötigen die schnellsten Fahrer:innen oft über 10 Stunden, um die mehr als 200 Kilometer langen Strecken über die endlosen Schotterstraßen zu bewältigen. Hier spielt speziell der Komfort also eine deutlich wichtigere Rolle.
Noch weiter hinaus geht es bei Ultra-Langstrecken-Abenteuern wie dem Silk Road Mountain Race in Kirgisistan, dem Atlas Mountain Race in Marokko, den Badlands in Spanien oder dem Boehmian Border Bash Race durch Tschechien, Polen und Deutschland. Diese Rennen, bei denen die Starter:innen komplett auf sich selbst gestellt sind und ohne Begleitteam auskommen müssen, sind oft mehr als 1000 Kilometer lang. Entsprechend sind die Teilnehmer:innen hier meist auch bestückt mit Schlafsack, Zelt und Co.
UNTERSCHIED 6: DIE PROFIS
Ganz gleich ob Badlands, Unbound Gravel oder ähnlichen Events: Die noch junge Gravelbike-Szene hat wenige Stars im Rufe echter Profi-Sportler:innen. Anders als beim Cyclocross, denn hier hält sich so mancher aktueller Radprofi im Winter fit für die Straßensaison – oder auch umgekehrt. Um mit Topstars wie Mathieu van der Poel oder Wout van Aert nur die prominentesten Beispiele zu nennen.
Auf dem Gravelbike hingegen finden sich im Spitzenfeld mehr und mehr ehemalige Profis oder solche, die sich eher im Herbst ihrer Karriere auf dem Rennrad befinden und im Gravel eine neue Herausforderung und berufliche Perspektive sehen.
So wie Laurens ten Dam, Peter Stetina oder auch der deutsche Ex-Profi Paul Voß. Allerdings: Die Professionalisierung des Gravel-Sports geht mit großen Schritten voran. So sollen in der Saison 2022 erstmals eine offizielle Gravelbike Weltmeisterschaft so wie ein Weltcup ausgetragen werden. Und diese Formate hätten Cyclocross und Gravelbike dann gemeinsam.