Von Tatiana Myk

"Bruno, nach wie vielen Langstreckenrennen darf ich mich Ultracyclist nennen?" fragte ich meinen Partner, als wir den höchsten Punkt der Badlands, Calar Alto, erklommen. Im September 2023 absolvierte ich in Süden Spaniens mein zweites Langstrecken-Gravelrennen: Badlands. Oder anders gesagt: 760 Kilometer und 16.000 Höhenmeter, zu bewältigen in vier Tagen und zwölf Stunden.

Nachdem ich im Mai mein erstes Gravel-Rennen über 550 Kilometer und 10.000 Höhenmeter vom slowenischen Ljubljana an die italienische Mittelmeerküste erfolgreich beendet hatte, war ich mir sicher, dass das nicht das letzte Abenteuer dieser Art gewesen war. Ich war begierig darauf, mich erneut herauszufordern, meine Komfortzone für unvergessliche Erlebnisse zu verlassen und gleichzeitig abgelegene Ecken und fremde Landschaften zu erkunden.

Die Möglichkeit, bei Badlands an den Start zu gehen, ergab sich kurzfristig und ließ mir nur einen Monat Zeit für die Vorbereitung. Die wichtigste Frage, nämlich die nach dem passenden Fahrrad, beantwortete sich zum Glück schnell: Mein Arbeitgeber 8bar Bikes stellte mir einen 8bar MITTE V3 Rahmen zur Verfügung und SHIMANO Deutschland unterstützte mich mit einer brandneuen GRX 1x12 Gruppe mit der Übersetzung 10-51. Mit dem idealen Setup und meinem Partner Bruno als Support war ich bereit für die Herausforderung. 

Das Stress begann bereits wenige Tage vor dem Rennen, als ich mein Fahrrad für den Flug nach Granada vorbereitete. In Andalusien angekommen, empfingen uns statt der üblichen Hitze jedoch Regen und Stürme. Und zwei Tage vor dem Start erwischte mich auch noch eine Lebensmittelvergiftung mit heftiger Erschöpfung und Fieber. Ich zweifelte zum ersten Mal, ob ich der großen Herausforderung wirklich gewachsen war.

Der Start

Eine gute Nachtruhe, eine Menge Tabletten gegen die Lebensmittelvergiftung, ein paar Reis-Cracker und eine große Portion natürlicher Optimismus sorgten dafür, dass ich allen Hindernissen zum Trotz morgens um 7:00 Uhr am Start stand.

Ich war mir nicht sicher, ob ich das Rennen beenden würde oder nicht, aber ich wusste, dass ich alles versuchen würde. Denn diese Strecke würde mich an Orte bringen, an denen ich noch nie war. Und das ohne jeglichen Support, abgesehen von meinem Partner, mit dem ich das große Ziel teilte, dieses Rennen zu bewältigen.

Die ersten 24 Stunden: Wüste und Autopilot

Über 350 Teilnehmer überfluteten am Start die Straßen des wunderschönen Granada, nachdem der Startschuss erfolgt war. Die Führenden waren bereits voraus, ehrgeizige Enthusiasten folgten ihnen, am Ende des Felds tummelten sich die Debütant*innen und alle, die es gemütlich angehen wollten. Ein vielfältiges Feld, das ein Ziel einte: Alles zu geben, um eine persönliche Bestleistung zu erzielen. 

Meine ganz persönliche Challenge: "Ich möchte in 3 Tagen fertig werden! Und ich werde es schaffen." Ich hatte hohe Erwartungen an mich. Und vielleicht machte mich die tolle Atmosphäre mit den vielen Menschen um mich herum zu ehrgeizig. Und so kam es wie es kommen musste:

Ich stürzte bei ziemlich hoher Geschwindigkeit in einer rutschigen Schotterkurve nach gerade mal 35 Kilometern. Ich sah Blut an beiden Händen und an meinem linken Knie und mir wurde schnell klar, dass das nicht nur kleine Kratzer waren. Hatte ich mir sogar etwas gebrochen? Nein, Entwarnung: ich konnte mich bewegen. Dann kamen die Emotionen: Trauer, Wut, Verzweiflung. „Warum mache ich das alles überhaupt?“ fragte ich mich.

Dann spürte ich eine warme Hand auf meiner Schulter, Bruno stand neben mir. Andere Fahrer kamen näher und fragten, ob ich Hilfe benötige. Ich beruhigte mich allmählich und mir wurde klar, dass ich nicht allein bin. Ich hatte keine Angst mehr. Jetzt war ich nur noch wütend.

Ich hakte den Sturz fürs Erste ab und fuhr weiter. Nach 100 Kilometern erreichten wir ein Krankenhaus, in dem meine Wunden versorgt wurden. Die notwendigen Verbände und Kompressen für fünf Tage gingen mit auf die Reise, als wir weiterfuhren.

Am Abend erreichten wir die Gorafe-Wüste und ich war überglücklich. Ich war an den Start gegangen, um diese Orte zu sehen. Die Wüste erstreckte sich bis zum Horizont und aufgrund eines Sandsturms hatte der Himmel die Farbe der Erde – staubig-orange. 

Der Sonnenuntergang wurden vom Sand in der Luft verdeckt und so brach die Dunkelheit sanft herein. Die Zeit näherte sich Mitternacht, und es schien, als wären wir nicht weit von unserer gesteckten 200-Kilometer-Marke und unserem Hotel entfernt.

Aber plötzlich verließ mich meine Kraft. Der Reis, den ich im Gepäck hatte, war sauer geworden und ungenießbar, die Wirkung der Schmerzmittel ließ nach und die Wunden brannten. Ich hatte keinerlei Energie mehr und konnte mich kaum noch bergauf bewegen und nicht mal mehr sprechen. Es war ein unglaublicher Zustand, den ich noch nie zuvor erlebt hatte. 

Ich hörte und verstand, was mein Partner Bruno zu mir sagte. Aber ich konnte überhaupt nicht antworten; mein Körper gehorchte nicht. Alles geschah im Autopilotmodus: Ich musste weitermachen, auf den Pfeil auf dem leuchtenden Navigationsbildschirm achten und in die Pedale treten, um unser Hotel zu erreichen.

Um 1 Uhr morgens erreichten wir nach 200 Kilometer und 4300 m Höhenmetern endlich unsre Unterkunft. Die Energie reichte gerade noch für eine Dusche und das Letzte, an das ich mich erinnere: Bruno stopfte mir ein nicht allzu schmackhaftes trockenes Thunfisch-Sandwich in den Mund. Nach dieser Tortur hätte ich ewig schlafen können, doch der Wecker klingelte nur fünf Stunden später.

Die zweiten 24 Stunden: Der Höhepunkt des Rennens

Auch der kurze Schlaf reichte: Ich wachte auf, und ich war wieder ich selbst. Der Morgen begann mit dem gleichen Thunfisch-Sandwich, doch der Optimismus war wieder da. Wir setzten unsere Route fort, schließlich lagen immer noch 550 Kilometer und 12.000 Höhenmeter vor uns. Die unglaublich leckeren und saftigen Feigenfrüchte, die wir auf dem Weg von den Bäumen pflückten, dienten als unser zweites Frühstück und vermutlich ist dies die schönste Erinnerung an mein Abenteuer.

Es wurde immer heiß, als wir uns dem Aufstieg zum höchsten Punkt der Stecke und der Stadt Gor näherten. Auch, wenn wir uns nicht am Ende des Fahrerfeldes befanden, konnten wir erkennen, dass die Stadtbewohner bereits zahlreich Fahrer*innen vor uns angefeuert hatten.

Nach einer kurzen Pause begannen wir den langen und heißen Aufstieg zum Observatorium, dem Gipfel der Badlands. Nach viele Stunden bergauf erreichten wir den Gipfel pünktlich zum Sonnenuntergang!

Nach der Abfahrt und zehn Stunden Fahrt wollten wir einen Schlafplatz im kleinen Dorf Tabernas finden. Innerlich war ich sogar bereit, auf einer Bank im Park zu schlafen. Doch um 1 Uhr morgens fanden wir endlich ein geöffnetes Hostel, das uns alles bot, wovon wir geträumt hatten: Leckeres Essen, eine warme Dusche und ein weiches Bett.

Die dritten 24 Stunden: Bereit für den Endspurt!

In den dritten Tag startete ich mit leichter Euphorie. Es waren nur noch 340 Kilometer übrig, also hatten wir in 2 Tagen bereits mehr als die Hälfte geschafft, und könnten bereits übermorgen triumphieren! Um mich zu motivieren, beschlossen wir, ein Hotel auf dem Berg über der Stadt Almeria zu buchen. Nach unseren Berechnungen würden wir 150 Kilometer fahren und nach einem guten Abendessen in der Hauptstadt von Andalusien noch weitere 25 Kilometer zurücklegen. Doch der dritte Tag lief leider nicht wie erhofft. Die Hitze und ein Streit mit meinem Partner ließen meine Motivation sinken. Ich konnte die Aussicht deswegen erst genießen, als sich der Sonnenuntergang bereits nähert und die Hitze endlich nachließ. Wir erreichten das Cabo de Gata, ein magisches Reservat, das an Afrika erinnert. 

Und dann sahen wir das Meer und die Salinen mit Flamingos! Bevor es vollständig dunkel wurde, sahen wir auch noch den Strand von Almeria und wir flogen dahin: Zwei kleine Lichter, die mit voller Geschwindigkeit zum Abendessen in Almeria rasten! 

Ich träumte von einem frischen Salat, Reis und Lachs. Wir überholten mehrere Fahrer, und ich war mir absolut sicher, dass ich weitere 35 Kilometer schaffen würde und unser gebuchtes Hotel problemlos erreichen würde. Das Abendessen in Almeria war großartig, doch danach stellte fest ich, dass ich einfach nicht vom Stuhl aufstehen konnte. Meine Haut am Hintern war ruiniert und die Knie schmerzten. Keine Chance auf weitere 25 Kilometer. Wir stornierten die Buchung und ich schaffte gerade so die 500 Meter zu einem Hostel in der Nähe des Restaurants. Ich war völlig erschöpft, die Schmerzmittel wirkten nicht mehr, und wir hatten immer noch 200 Kilometer und 6000 Meter Höhenunterschied vor uns.

Die vierten 24 Stunden: Vernunft siegt gegen Emotionen

Beim Morgenkaffee gab es eine Diskussion über den Plan für den Tag, für die nächsten 24 Stunden und für das Leben insgesamt. Die Emotionen waren groß, aber der Körper verlangte entweder nach Schlaf oder nach einer zweiten Tasse Kaffee.

Ich war wirklich müde und machte mir Gedanken. Ultra-Radrennen, das sind keine hübschen Instagram-Bilder und auch nicht die wenigen Ausnahmesportler*innen, die ein Rennen in zwei Tagen beenden, weil sie nicht schlafen. Es ist nicht das, was viele Marken vermitteln, wenn sie ehemalige Profis bei Hobbyrennen zeigen, und sagen: "Du kannst das auch." Aber es ist verlockend, daran zu glauben, wenn man zu Hause sitzt. 

Aber ich hatte völlig vergessen, wie hart es ist, zwei Jobs, ein persönliches Leben und ein zeitintensives Hobby miteinander zu kombinieren. Ich hatte mich entschieden, an einem Rennen teilzunehmen, für das ich weder physisch noch psychisch bereit gewesen war. Und ich hatte Erwartungen aufgebaut, die mich jetzt in die Enge trieben. Vielleicht war ich tatsächlich zu weit aus meiner Komfortzone herausgetreten. 

Es waren nur noch 200 Kilometer bis zum Ziel, und doch war ich kurz davor, aufzugeben. Ich war müde, demotiviert und konnte all den Schmerz in meinem Körper nicht mehr ertragen.

Und dann fand ich einen Trick: Fakten. Und plötzlich setzte sich die Vernunft gegen die Emotionen durch. Wir erreichten Almeria nach 550 Kilometer und über 10.000 Höhenmetern in 65 Stunden. Nur vier Monate zuvor benötigte ich für die gleiche Distanz mit identischen Höhenmetern 81 Stunden. Es klingt vielleicht seltsam, aber diese Zahlen halfen mir, um mich zu beruhigen und mir zu sagen, dass ich gute Arbeit geleistet habe. 

Fahrrad und  Ausrüstung funktionierten hervorragend, Bruno war stark und zur Not hatte ich noch einige Schmerzmittel übrig. Deshalb beschloss ich, bis zum Ende zu fahren – oder es zumindest zu versuchen. 

Langstreckenrennen sind eine harte mentale und physische Herausforderung sind. Auf der Reise kann alles mit dir passieren. Es geht darum, sich an unvorhergesehene Situationen anzupassen und die Grenzen des Körpers auszuloten. Man lernt sich selbst und seine Begleiter von allen Seiten kennen - und das sind nicht immer die angenehmsten Seiten. 

Während dieses Rennens habe ich mehrmals die Grenzen meines Körpers und meiner geistigen Gesundheit überschritten. Und das war genau das, was ich wollte: Mich einer riesigen Herausforderung zu stellen und alles dafür zu tun, um sie zu bewältigen. Und wisst ihr was? Ich werde es wieder tun! 

Ich habe es geschafft! Wir haben es geschafft! 

Ohne konsequentes Training, trotz einer Lebensmittelvergiftung, trotz eines Sturzes.

Dank meines Partners, dank eines neuen Rades, dank einer zuverlässigen Technik.

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