Er hat weder Waden-Tattoos noch Schnurri, aber garantiert immer genug Zahnpasta dabei: der 83-jährige Vater von Gravel-Alliance-Fahrerin Anke. Was man auf 300 Kilometern von ihm und seiner Rentnergang lernen kann – und was besser nicht.

Ich hätte nie gedacht, dass ich das einmal sagen würde, aber: Mein Vater ist ein Trendsetter. Als ich noch mit Stützrädern unterwegs war, hat er schon Fahrradrunden durch den Stuttgarter Eichenhain gedreht. Und jetzt, wo sich weltweit Hipster Taschen an ihre Gravelbikes schnallen, schmunzelt er nur, denn er macht das schon seit Jahrzehnten.

Zugegeben, ich gehöre auch zu den Neulingen in Sachen Bikepacking. Und muss mir jedes Mal auf die Zunge beißen, damit ich den Begriff nicht in Gegenwart meines Vaters verwende. Für ihn ist das schließlich nur neumodisches Denglisch. „Bikepacking“? Er macht Radtouren mit Gepäck. Und auch sonst könnten wir nicht unterschiedlicher an die Sache herangehen. Während ich mir dreimal überlege, welche Unterhose schnell genug trocknet, damit ich sie unterwegs auswaschen kann und die kleinsten Probiergrößen im Drogeriemarkt sondiere, um ein paar Gramm Gewicht zu sparen, packt mein Vater die zweite Jeans als Wechselgarderobe ein. Und natürlich die große Zahnpastatube. Zu traumatisierend war das Erlebnis vor ein paar Jahren, als seinem Spezl Helmut bei einer Mehrtagestour das Shampoo ausging und er einfach das meines Vaters benutzte – ohne zu fragen. Das Risiko geht er nicht nochmal ein.

Bikepacking den Isarradweg entlang

Schließlich steht der Isarradweg an. 300 Kilometer in 6 Tagen, von der Quelle der Isar bis zu ihrer Mündung in die Donau. Unser Start ist im bayerischen Mittenwald, wo ich dezente anderthalb Stunden warte, weil die schwäbische Reisegruppe spontan einen späteren Zug genommen hat, ohne der Tochter im bayerischen Exil Bescheid zu geben. Wahrscheinlich nur, um die Spannung zu erhöhen. Denn gäbe es eine Zeitlupe im echten Leben, wäre sie mehr als würdig für den Moment, als mein Vater mit seinen Fahrrad-Buddys vor der Kulisse des Karwendelgebirges aus dem Zug steigt. Selbst Hintergrundmusik im klassischen Western-Sound wäre nicht übertrieben, denn nun stehen da sieben Männer, alle in ihren 70er und 80ern und sind sowas von bereit.

Bikepacking den Isarradweg entlang

Mit Sandalen und Vorhängeschloss

Nach meinen Jahren in der Fahrradwelt, wo über Carbon-Qualitäten, Grammdifferenzen bei Pedalen und die Vor- und Nachteile von verschiedenen Gore-Tex-Materialien diskutiert wird, ist es Balsam für die Seele, die Freunde meines Vaters zu sehen. Da wird mit Stoffhose und Karo-Baumwollhemd gefahren, Sandalen sind angemessenes Schuhwerk und als Fahrradschloss dient auch gern mal eine Metallkette aus dem Baumarkt samt Vorhängeschloss, die gefühlt schon so viel wiegt, wie manch ein ganzer Rahmen. Nie wurde ich schöner auf den schottrigen Boden der Tatsachen zurückgeholt und dass es schlichtweg egal ist, mit welchem Equipment man unterwegs ist, solange man Bock auf Radfahren hat.

Und das haben Heinz, Gerhard, Sigi, Helmut, Hans, mein Vater Rolf und sein Namensvetter Rolf. So sehr, dass ich bald schon bereue, worauf ich mich hier eingelassen habe. Schließlich sind die Herren mit E-Bikes unterwegs – was natürlich auch erklärt, warum sie bei der Menge des Gepäcks so entspannt bleiben. Am ersten Anstieg Richtung Hallerangerhaus wird mir klar, dass mich auch die Probiergrößenzahnpasta nicht retten wird. Ich werde gnadenlos abgehängt. 

Selbst an den schönsten Aussichtspunkten, wo sich der Fluss kitschig Türkis schimmernd durchs Tal schlängelt, treten die Radtouristen knallhart vorbei. Nur mein Vater hält an, was ich fälschlicherweise als Rücksicht auf seine langsam hinterherschnaufende Tochter missverstehe. Aber als Hauptverantwortlicher für das spätere Fotobuch will er nur schnell ein Bild machen. Und das Panorama ist tatsächlich beeindruckender als mein hochrotes Gesicht. 

Vom Rest der Gang ist da schon längst nichts mehr zu sehen. Radfahrer-Etikette und Rücksicht auf das schwächste Mitglied ohne Akku: Fehlanzeige. Auch was Handzeichen beim Abbiegen anbelangt, hätte ich noch einige streberhafte Verbesserungsvorschläge, stoße aber auf taube Ohren (und das liegt nicht an der zunehmenden Schwerhörigkeit im Alter). Wer denkt, dass Männer in ihren Zwanzigern testosterongetrieben Sport treiben, sollte es mal mit einer Gruppe an Fahrrad-Pensionären aufnehmen. Same same, just different!

Gute Aussichten in jeglicher Hinsicht

Wenn man sich damit abgefunden hat, kann man allerdings nicht anders, als diesen Herren den größten Respekt zu zollen. Während andere Menschen in ihrem Alter längst keinen Sport mehr machen, haben sie den Sattel nicht gegen den Wohnzimmersessel getauscht. Noch nie ist mir mehr bewusst geworden, was für ein Glück es ist, wenn der Drahtesel dein liebstes Fortbewegungsmittel ist. Denn was wäre prädestinierter für das viel beschworene „beste Alter“ als das Fahrrad? Irgendwann werde auch ich nicht mehr Snowboarden und Joggen können, aber den Lenker wird man mir aus meinen faltigen Händen reißen müssen! Und so weit ist es bei der Crew von meinem Vater zum Glück noch lange nicht.

Wenn es sein muss, wird auf den steilen Schotterwegen eben geschoben. Und nur umgestürzte Bäume oder die obligatorische Weißwurst sind Gründe, um unterwegs Pausen zu machen. Die Jungs haben Bock auf Treten. Egal wie alt sie sind. Egal ob sie Sandalen dabei tragen. Oder wie viel ihr Vorhängeschloss wiegt. Und das tut gut.

Auch wenn meine Oberschenkel mich jetzt schon dafür verfluchen: Jederzeit wieder, Papa. Jederzeit!

Bikepacking den Isarradweg entlang

Bio

Anke Eberhardt ist im echten Leben Journalistin, auf Instagram macht ihr böses Alter Ego @anke_is_awesome Witze über Social Media. Inzwischen dreht sie für YouTube sogar Bike-Tutorials, obwohl sie in ihrem Leben erst einen Schlauch gewechselt hatte. „Fake it till you make it“ trifft „look pro go slow“ – aber Hauptsache mit Spaß!

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