Von: Katherine Moore
Katherine ist Mitglied der SHIMANO Gravel Alliance und unternimmt gerne Gravel- und Bikepacking-Touren. Dabei kommt es ihr mehr auf das Abenteuer als auf Geschwindigkeit. Mit dem Start beim dreitägigen Rennen in den Scottish Cairngorms wurde sie gleich zu Beginn ihrer Offroad-Karriere ins kalte Wasser geworfen und ist seither kaum mehr mit ihrem Rennrad unterwegs. Katherine machte 2018 mit dem Dirty Kanza 200 einen weiteren Haken auf ihrer Bucket-List und verbrachte 2019 den größten Teil ihrer Freizeit auf Reisen, beispielsweise beim Rennen über den Catalunya Trail oder bei der Erkundung neuer Routen mit Freunden.
Rennradlenker, steife Rahmen und schmale Reifen: Rennräder und das rasch wachsende Angebot an Gravel-Bikes haben mit Sicherheit viel gemeinsam. Worin genau unterscheiden sich die beiden also und warum lohnt es sich zu überlegen, ob du dir vielleicht auch noch ein Gravel-Bike zulegen solltest?
Hier erläutern wir die wesentlichen Design- und Konstruktionsmerkmale, dank der sich Gravel-Bikes optimal für diesen Zweck eignen, angefangen bei der Auswahl der Komponentengruppe, bis hin zu Reifenwahl, Geometrie und Ausstattung.
1. Komponentengruppen und schaltung
Mit den herkömmlichen Schaltungskomponenten von Rennrädern kommst du zwar ganz passabel über einige Gravel-Pisten, aber du wirst schnell feststellen, dass abseits der Straße ein paar zusätzliche Gänge ganz praktisch sind. Das ideale Gravel-Übersetzungsverhältnis liegt irgendwo zwischen dem von Rennrädern und Mountainbikes – mit einigen kleinen Gängen, um auf losem und unebenem Untergrund genügend Grip zu haben, und ein paar höheren, um auf Straßen oder bei Abfahrten ein paar zusätzliche Gänge zur Verfügung zu haben.
Abgesehen vom Übersetzungsverhältnis gibt es noch den Trend hin zu mehr Einfachheit: das Einfach-Kettenblatt aus der Mountainbikewelt wurde hier mit offenen Armen begrüßt. Berücksichtigt man noch, dass man im Gelände kraftvoll und gut kontrollierbar bremsen muss - und das mit Rennrad-Bremshebeln, wird ganz schnell offensichtlich, dass hier etwas ganz neues benötigt wird.
Die Zeit war reif für SHIMANO GRX, die weltweit erste Gravel-spezifische Komponentengruppe. Dank der Anleihen an die MTB-Technologie gelang SHIMANO die Entwicklung einer Vielzahl von Optionen primär für Gravel-Fahrer, darunter auch Bedienhebel für Vario-Sattelstützen und die elektronische Di2-Schaltung!
Der Umstieg von rennradspezifischen Komponenten auf GRX bringt einige Unterschiede mit sich, die sofort ins Auge fallen, beispielsweise die größere Auswahl an Einfach- und Zweifach-Kettenblättern, ergonomischere Hörnchen und, in der höchsten Ausstattungsvariante, die schneller reagierenden Bremsen mit SERVO WAVE.
Bei der Schaltung kannst du dich entscheiden zwischen Kettenblättern mit 40 oder 42 Zähnen, die sich mit Kassetten mit 11-42 Zähnen kombinieren lassen. Alternativ stehen Zweifach-Kettenblätter zur Auswahl (46/30Z oder 48/31Z), für die es Kassetten mit bis zu 11-34Z gibt.
Dank der in die Hydraulikbremsen integrierten SERVO WAVE Technologie der GRX-Serie packen die Bremsbeläge schneller zu und bieten eine, im Vergleich zu normalen Rennradscheibenbremsen, höhere sowie leichter zu dosierende Bremskraft. In Kombination mit Bremsscheiben mit 160 mm Durchmesser ermöglicht dies ein sanfteres Abbremsen oder auch ein hartes Blockieren des Hinterrads, wenn deine Begeisterung gerade mal wieder mit dir durchgeht.
2. Reifenfreiheit
Bei der Reifenfreiheit entscheidet es sich, ob ein Rahmen für Gravel geeignet ist oder nicht. Manche Rennradrahmen bieten recht viel Platz zwischen den Gabeln und Streben, sodass auch dickere Reifen genügend Raum finden. Falls du keinen Platz für ein weiteres Rad hast oder das Geld gerade nicht für das „Ein Rad für alles“-Gravelbike reicht, kann das sicher eine Alternative sein. Allerdings solltest du darauf achten, welche Möglichkeiten sich dir damit tatsächlich bieten.
Cyclocross-Reifen (normalerweise 33c) sind für manche Fahrer bei trockenen und technisch weniger anspruchsvollen Bedingungen vollkommen ausreichend. Doch mit breiteren Reifen hast du in rauem Gelände etwas mehr Komfort, vor allem mit einem niedrigeren Reifendruck.
Und denk auch an das Reifenprofil. Wenn du dich zu einer richtigen Schlammschlacht aufmachst, solltest du dich für ein aggressiveres Profil entscheiden. Willst du schnell unterwegs sein, darf das Profil nicht ganz so grob sein.
Bei vielen Gravel-Bikes ist die Reifenfreiheit das wichtigste Merkmal und betont damit den Einfluss, den die Reifenwahl auf das Fahrerlebnis haben kann. Um diesen bis zu 47 mm breiten Reifen zu entsprechen, wurden auch neue Laufräder entwickelt. Auch hier flossen Erfahrungen aus dem MTB-Bereich ein, beispielsweise der Vorteil breiterer Felgen wie die der SHIMANO GRX Laufräder mit 21,6 mm. Viele Fahrer bevorzugen Tubeless-Reifen, weil sie weniger anfällig für Platten sind und mit niedrigerem Reifendruck gefahren werden können, ohne einen Durchschlag zu riskieren.
Neben den Standardlaufrädern mit 700C wird auch das kleinere Maß 650B bei Gravel-Fahrern immer beliebter. Es erlaubt in vielen Rahmen sogar die Montage von dicken MTB-Reifen, da der Umfang dieser Laufräder mit dem von 27,5--Zoll-MTB-Laufrädern identisch ist. So lassen sich selbst extrem raue oder technisch anspruchsvolle Trails bewältigen. In der neuen GRX-Komponentenreihe finden sich Laufradsätze für 700C und 650B.
3. Geometrie
Kleine Änderungen in der Geometrie führen bei Gravel-Bikes und anderen, auf Abenteuer ausgelegten Rahmen zu einem überraschend deutlichen Unterschied beim Handling und beim Fahrgefühl. Diese Spezialräder sind mit ihrem etwas kleineren Steuerrohrwinkel unempfindlicher als Rennräder. In Kombination mit einem längeren Radstand bieten diese Rahmen in technisch schwierigem Gelände mehr Stabilität und eine höhere Laufruhe auf losem Untergrund.
Bei der Entwicklung der Geometrien für Gravel- und Adventure-Bikes wurde auch auf Komfort Wert gelegt, da die Touren im Gelände oft auch mehrere Tage dauern können. Eine im Vergleich zur aggressiven Rennradgeometrie etwas aufrechtere Sitzposition kommt dem zugute und gewährleistet dem Fahrer mehr Kontrolle auf anspruchsvollen Pisten. Abgesehen von der Reifenfreiheit ist dies ein weiterer wichtiger Unterschied zwischen Cyclocross- und Gravel-Bikes: das erste wird ein paar Stunden lang mit voller Geschwindigkeit durchs Gelände geprügelt, während man mit dem zweiten einen ganzen Tag lang oder sogar mehrere Tage am Stück unterwegs ist.
Die Aerodynamik spielt hingegen nur eine untergeordnete Rolle, da die Geschwindigkeit auf einem Trail im Gelände ohnehin so niedrig ist, dass der Faktor Windschnittigkeit vernachlässigt werden kann. Endlich eine gute Ausrede, um Baggys zu tragen!
4. I-Tüpfelchen
Neben den auffälligen Unterschieden bei der Auswahl von Rahmen und Komponentengruppen gibt es noch ein paar subtilere Abweichungen, die jedoch eine große Rolle auf das Fahrerlebnis im Gelände haben können.
Wie allseits bekannt, kommt bei der Ausstattung eines Rads den Kontaktpunkten besondere Bedeutung zu: Sattel, Lenker und Pedale. Schließlich ist deine Position bei langen Touren im Gelände höchstwahrscheinlich deutlich weniger aggressiv als bei einem auf Aerodynamik ausgelegten Rennrad, sodass auch der Kontakt zum Rad ein anderer ist. Unter Umständen benötigst du einen anderen Sattel, der die veränderten Hüftbewegungen kompensiert, die aus einer eher aufrechten Position resultieren.
In der Gravel-Szene sind Lenker mit ergonomischer Aufweitung (Flare) besonders beliebt. Diese sind an den nach unten gebogenen Enden breiter als normale Rennradlenker und ermöglichen so bei technisch anspruchsvollen Abfahrten eine stabile Position. Man sollte auch berücksichtigen, dass sie damit mehr Platz für eine Lenkertasche bieten, in der sich Ausrüstung für ein mehrtägiges Bike-Abenteuer unterbringen lässt. Es stehen eine Reihe von Aufweitungswinkeln zur Verfügung, wobei die PRO Discover Lenker als Varianten mit 12 oder 30 Grad Aufweitung erhältlich sind.
Egal ob du dich für einen Lenker mit Aufweitung entscheidest, im Vergleich zu herkömmlichen Rennradlenkern empfiehlt sich für Fahrten im Gelände die Wahl eines leicht breiteren Lenkers. Um es zu wiederholen: ein breiterer Lenker bietet mehr Stabilität und Kontrolle, was im Gelände wichtiger ist als der aerodynamische Vorteil eines schmalen Cockpits.
Meiner Ansicht nach sind Off-Road-Pedale und -Schuhe fürs Graveln unverzichtbar – was dir jeder bestätigen kann, der schon mal mit Rennrad-Cleats um ein schwieriges Hindernis herum oder durch den Schlamm gestapft ist. Bei Gravel-Schuhen sind die Metall-Cleats etwas in den Schuh versenkt, was das Laufen viel einfacher macht. Zudem erleichtern die beidseitigen SPD-Pedale das Einrasten, vor allem dann, wenn Pedale und Schuhe bereits ziemlich verdreckt sind.
Wenn du es gerne rau und felsig hast und dich in dem fast schon zum Mountainbiking zählenden Bereich des Gravel-Spektrums zuhause fühlst, solltest du über eine Vario-Sattelstütze nachdenken. Mit ihr kannst du dich in steilem oder technisch schwierigem Gelände leichter auf dem Rad bewegen, ohne dass dir der Sattel in die Quere kommt. Außerdem lassen sich Vario-Sattelstützen sogar mit einem eigenen Schalter am Lenker betätigen, beispielsweise mit dem linken STI-Hebel (das ist der ST-RX810-LA, falls es dich interessiert) oder mit dem Vario-Sattelstützenhebel für PRO Rennradlenker – ziemlich praktisch!
Auswahl für unterschiedliche gelegenheiten
Trotz ihrer offensichtlichen Gemeinsamkeiten gibt es also eine Vielzahl von Unterschieden – nicht nur zwischen Rennrädern und Gravel-Bikes, sondern sogar zwischen verschiedenen Varianten von Gravel-Bikes. So gibt es Setups für lange Strecken, für Bikepacking in rauem Gelände oder für richtige Geländerennen, die sich jeweils für ein spezifisches Gelände und den entsprechenden Einsatzzweck eignen. Eines ist jedoch sicher: wir verdanken unseren MTB-Cousins eine Menge! Denn die Entscheidung für ein spezielles Gravel-Bike statt eines Rennrad oder Cyclocross-Bikes kann einen himmelweiten Unterschied ausmachen, wenn es darum geht, den weniger befahrenen Pfad einzuschlagen.