Zwar steigt auch im Gravel-Bereich die Zahl der Rennen, bei denen es mit hoher Geschwindigkeit voll zur Sache geht. Doch die Szene steht immer noch am Anfang und man weiß nicht jedes Mal, worauf man sich eingelassen hat, wenn man sich eine Startnummer ansteckt.

Um mal das für Gravel typische Klischee von Blechbechern, Bier und Biwak-Taschen außen vor zu lassen, haben wir uns mit Dalila Lecky verabredet, die für die SHIMANO Gravel Alliance fährt. Sie hat uns ihre besten Tipps für die britische Gravel-Rennszene verraten und uns auch erzählt, wie man drei Stunden hartes Renntempo übersteht. Sie ist das beste Beispiel dafür, wie es ist, wenn man Blut geleckt hat, was die vielfältigen Renn-Events angeht.

„Die meisten Menschen denken bei Gravel-Rennen eher an Bikepacking und ultralange Distanzen“, meint Dalila gleich zu Beginn. Sie muss es wissen, denn sie hat schon an unzähligen Gravel- und Cyclocross-Rennen in Großbritannien teilgenommen. „In den Köpfen der Leute hat sich die Vorstellung eingenistet, dass sich ein solches Event über hunderte von Kilometern und mehrere Tage und Nächte zieht, sodass du nicht nur mit unterschiedlichem Gelände klarkommen musst, sondern auch mit wenig Schlaf. Und trotz allem musst du noch in der Lage sein, zu funktionieren und Leistung abzurufen. Diese Rennen sind von Legenden umwoben und denen, die daran teilgenommen haben, eilt der Ruf voraus, dass sie sich den unterwegs unvermeidlichen Problemen heldenhaft gestellt und sie überwunden haben.“

Aber das ist nur ein kleiner Teil der Wahrheit.

Gravel-Rennen als Tagesveranstaltung

Battle on the Beach - Die Vielfalt an Gravel-Rennen ist schier unerschöpflich. Die Rennen unterscheiden sich hinsichtlich Format, Länge, Gelände, Wegbeschaffenheit und sogar im Hinblick auf die Atmosphäre. So gilt das, was in den Beneluxländern als „Beach-Rennen“ bezeichnet wird, anderswo als „Gravel“.

„Auch wenn diese ultralangen Gravel-Rennen großen Reiz ausüben – wann hat man schon mal Gelegenheit, sein gesamtes Potential auszuschöpfen und sich selbst bis an die eigenen Grenzen und darüber hinaus zu bringen –, sie lassen sich einfach nicht mit einem Vollzeitjob und einem Alltag in Einklang bringen, in dem keine Zeit zum Radfahren bleibt. Ganz abgesehen davon, dass du oder ich für eine Teilnahme an diesen längeren Events unseren gesamten Urlaub aufbrauchen müssten, es geht ja auch um das Training im Vorfeld. Manche Fahrer schaffen es tatsächlich, alles unter einen Hut zu bringen, aber bei mir führt das eher dazu, dass ich mich am Ende etwas ausgebrannt fühle. Kürzere Events haben ganz einfach den Vorteil, nicht die gesamte Freizeit zu verschlingen.“

Gravel-Rennen als Tagesveranstaltung

Kings Cup ist mit seiner rennradfreundlichen, nicht allzu anspruchsvollen Gravel-Strecke oft Austragungsort der British National Gravel Championships und auf hohe Geschwindigkeiten ausgelegt.

Was sind also die Optionen, wenn man nur begrenzt Zeit hat?

Erste Idee: Grinduro, findet weltweit statt.

Dieses Eintagesrennen geht meist über eine Distanz von 90 Kilometern und umfasst vier bis fünf Abschnitte, die jeweils ein paar Kilometer lang sind und in denen die Zeit genommen wird. Den Rest des Tages verbringt man ganz entspannt bei gemütlichem Tempo im Sattel, unterhält sich mit Freunden, hat Spaß und genießt die Party-Stimmung an den einzelnen Verpflegungspunkten und natürlich am Abend in der Event-Arena. Man kann sich problemlos am Freitagabend auf den Weg machen, nimmt am Samstag am Grinduro teil und ist Sonntag wieder zurück, bereit für eine neue Arbeitswoche. Das Training für ein Event wie Grinduro hängt davon ab, wie ernst man das Rennen nimmt. Womit wir bei einer weiteren Eigenheit kurzer Gravel-Rennen angelangt wären – bei jedem dieser Rennen gibt es nämlich eine Gruppe Fahrer, die das Ganze weniger sportlich, sondern eher als Freizeitvergnügen sieht. Wenn man allerdings an vorderster Front mitfahren möchte, lassen sich die Abschnitte mit Zeitnahme, die zwischen 2 bis 12 Minuten lang sein können, problemlos in das regelmäßige Training integrieren.

Gravel-Rennen als Tagesveranstaltung

Gravel-Rennen als Tagesveranstaltung

Fotos: Dan Monaghan beim Grinduro Wales

Freizeitradler fahren selbst in den Abschnitten mit Zeitmessung in dem Tempo, mit dem sie auch im Alltag unterwegs sind. Ambitioniertere Fahrer hingegen gehen hier bis an ihre Grenzen, um einen Platz auf dem Podium und eine dieser einzigartigen Grinduro-Trophäen zu ergattern. Ich selbst zähle mich eher zu Letzteren, wobei ich es bisher noch nicht auf das Podium geschafft habe! Das Schönste am Grinduro und der Gruppenbildung an den Verpflegungspunkten ist die Möglichkeit, sich etwas zu entspannen, ohne dabei das Gefühl zu bekommen, den echten Rennfahrern nur hinterherzuhecheln und deutlich Zeit zu verlieren. Bei anderen Mehrtagesrennen, an denen ich schon teilgenommen habe, und bei denen jeder Fahrer einen GPS-Tracker trägt, war das immer ein Stressfaktor. Ich habe mich selbst dabei erwischt, wie ich auf der Karte nach den Signalpunkten der anderen Fahrer Ausschau hielt. Dabei hatte ich das Gefühl, sofort wieder weiterfahren zu müssen, weil jeder meinen Punkt dort sehen und feststellen konnte, dass ich hinter den anderen zurückblieb. Mir persönlich ist diese Art von Druck unangenehm und zum Glück spielt das bei einem Event wie Grinduro absolut keine Rolle. Hier werden mithilfe des Tracking-Chips nur die Abschnitte mit Zeitmessung erfasst. Rein theoretisch könnte man also als Letzter losfahren, den ganzen Tag hinter den anderen hergondeln und sich am Ende trotzdem den Sieg holen!

Was man vor der Teilnahme an Grinduro wissen sollte:

  • Übersetzung: Du musst steile Anstiege bewältigen und in den Abschnitten mit der Zeitmessung wirklich schnell sein, also solltest du einen großen Übersetzungsbereich wählen.
  • Laufräder: Deine Reifen und das Laufrad-Setup spielen hier eine größere Rolle als die Übersetzung. Du solltest dich für 700C mit einer Breite von bis zu 42 mm entscheiden. Das Profil hängt vom Gelände ab, also solltest du das vor dem Start abklären.
  • Gleiches gilt für den Reifendruck – behalte die Wettervorhersage im Blick. Ist es hauptsächlich nass, brauchst du einen niedrigen Reifendruck, der dir mehr Traktion gibt – denk dran, dass dies auf Gravel wiederum ein Nachteil ist. Für ein Rennen ist ein Tubeless-Reifen ein Muss!

Gravel-Rennen als Tagesveranstaltung

Foto: Dan Monaghan beim Grinduro Wales

Gravel-Rennen als Tagesveranstaltung

Kings Cup Gravel

Auf der Jagd nach der Trophäe: Rennen für die Gravel-Meisterschaft

Am anderen Ende des Spektrums der Eintagesrennen liegen die Events der UCI Gravel World Series. Erst vor kurzem fanden im Rahmen des Kings Cup Gravel die UK National Championships statt. Seit meiner Teilnahme habe ich noch nicht viel über meine Erfahrungen bei den King's Cup Gravel Championships erzählt. Das liegt hauptsächlich daran, dass diese 70 Renn-Kilometer zum Härtesten zählen, was ich jemals erlebt hatte – und daran, dass ich so unglaublich schlecht darauf vorbereitet war. Ich weiß noch, wie ich am Start nach rechts und links blickte. Mir fielen mehrere aktive und ehemalige Profi-Fahrer auf und mein einziger Gedanke war: „das wird brutal“. Es war eine fast drei Stunden lange (deutlich kürzer für den Sieger!), gnadenlose Jagd durchs Gelände, ohne die Chance auf eine Pause und kaum Zeit für einen der Snacks, die ich mir in die Taschen meiner Cargo-Trägershorts gepackt hatte. Aber ich habe bei diesem Rennen ein paar wichtige Dinge gelernt: da wäre zum Einen die Erkenntnis, dass mir sehr technische Strecken deutlich mehr liegen, und zum Zweiten, dass ich für ein so langes und schweres Rennen viel intensiver trainieren muss und nicht einfach meine üblichen Runden im Gelände drehen kann (im Rückblick mehr als offensichtlich). 

Für 2023 findet ein Rennen der UCI World Series in Schottland statt und es ist gut möglich, dass ihr mich da am Start seht.

Was man vor einem Rennen für die Gravel-Meisterschaft wissen sollte:

  • Übersetzung: Bei einem Eintagesrennen – vor allem bei der Meisterschaft – kannst du hinten eine engere Abstufung wählen, falls es sich um eine eher flache Strecke handelt und es mehr auf hohe Geschwindigkeit ankommt, als auf die perfekte Abstufung für Anstiege.
  • Reifen und Laufrad-Setup: Du solltest dich für etwas leichtere Komponenten entscheiden, da für ein Rennen der Grundsatz „Alles oder Nichts“ gilt. Bei einer eventuellen Panne hättest du ohnehin keine Chancen mehr, also macht es auch keinen Sinn, auf stabilere und damit auch schwerere Komponenten zu setzen.

Gravel-Rennen als Tagesveranstaltung

Gravel-Rennen als Tagesveranstaltung

Fotos: Phil Gale/Emmie Collinge

Beach-Rennen sind so was wie der Cousin zweiten Grades von Gravel

Ein paar Stunden mit vollem Speed im kühlen Wind von Wales sind definitiv mehr mein Ding. Beim Battle on the Beach handelt es sich um ein Event, das im Frühjahr auf einer 45 Kilometer langen Sandpiste stattfindet. Ich war total begeistert! Es ging dabei nicht nur um reine Muskelkraft – du musstest auch dein fahrerisches Können unter Beweis stellen. Allein die vielen unterschiedlichen Radtypen (Gravel, MTB, CX und sogar ein paar einzelne Fat Bikes), die man dort zu sehen bekam, waren ein deutlicher Hinweis auf die variierenden Bedingungen der Strecke – jeder Fahrer hatte sich für das Bike entschieden, das seiner Ansicht nach am vorteilhaftesten war. Wegen des sich ständig verändernden Geländes, der gelegentlichen Schiebepassagen oder der sandigen Abfahrten, die man sehr vorsichtig bewältigen musste, um einen Sturz zu vermeiden, gab es zwischen den Rennabschnitten immer wieder kurze Momente, in denen man sich etwas erholen konnte. Dieses Event kam meinen Fähigkeiten und der mir zur Verfügung stehenden Trainingszeit definitiv entgegen und ich würde jederzeit wieder zu diesem Rennen antreten oder es allen empfehlen, die sich ab und an über etwas #underbiking freuen.

Was man vor einem Beach-Rennen wissen sollte:

  • Übersetzung: Enge Abstufung, da es ohne Steigungen nur flach über den Sand geht.
  • Laufräder: So Aero wie möglich.
  • Reifen: Groß und mit niedrigem Druck! Ein Slick-Reifen ist prima, aber ich würde den Reifen so breit wie möglich wählen (uns ist klar, dass sich das bei einem Aero-Setup seltsam anhört, aber auf dem Strand bilden sich große Fahrergruppen).
  • Nach dem Rennen: Sand und Salzwasser machen deinen Komponenten zu schaffen, du solltest dein Rad daher so schnell wie möglich waschen und die Komponenten neu schmieren. Überprüfe auch die Beläge der Scheibenbremsen, da sie durch den Sand schnell verschleißen können.

Gravel-Rennen als Tagesveranstaltung

Foto: Phil Gale

Und wenn es dunkel wird ...

Das Schöne an einem Renntag ist, dass ein Rennen ja nicht unbedingt am Tag stattfinden muss. In London gibt es beispielsweise ein paar erstklassige, spleenige Events zu den unterschiedlichsten Tageszeiten. Ein herausragendes Event ist das Muddy Hell, das in der Nacht stattfindet und rein technisch gesehen weniger ein Gravel- als vielmehr ein Cyclocross-Rennen ist. Aber wer lange genug sucht, findet auch ein paar Gravel-Events. Kurz, schnell, wild: so lässt es sich am besten beschreiben. Optimal für alle, die tagsüber arbeiten und nachts etwas Dampf ablassen möchten. So kann man seinen Lieblingssport mit einem sehr sozialen Element verknüpfen.

Top-Tipp: ohne gute Lichter am Rad und Schlammreifen geht nichts.

Ausblick auf die Rennsaison 2023

Im Laufe der letzten paar Jahre wurde mir klar, wie gut sich Eintagesrennen als Auszeit vom stressigen Alltag eignen. Also habe ich mir schon ein paar in meinen Jahreskalender für 2023 eingetragen und bin zuversichtlich, dass mich diese Termine dauerhaft motivieren, meine gute Form zu halten.

Zusätzlich habe ich jetzt endlich den Sprung gewagt und mir für diesen Sommer länger Urlaub genommen, da ich mich für mein erstes Ultra-Endurance Gravel-Rennen angemeldet habe.

Keine Ahnung wie sich das entwickelt, aber es macht immer Spaß, sich Herausforderungen auf zwei Rädern zu stellen.

Gravel-Rennen als Tagesveranstaltung

Battle on the Beach - www.battleonthebeach.co.uk

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