Warum solltest du Gravel ausprobieren? Es bietet dir Gelegenheit, neue Gegenden zu erkunden, dem Lärm der Stadt und ihrem Verkehr zu entfliehen. Außerdem sind Gravel-Bikes so flexibel, dass du mit ihnen auf vielen unterschiedlichen Arten von Pisten unterwegs sein kannst. Am wichtigsten jedoch: du kommst danach mit einem breiten Lächeln im Gesicht nach Hause. Und darum geht es doch beim Fahrradfahren, oder nicht?

Gravel ist momentan ein unglaublicher Trend im Radsport. Im Laufe der letzten Jahre gingen die Umsatzzahlen bei Gravel-Bikes durch die Decke und immer mehr von uns haben entdeckt, wie viel Spaß es macht, auf nicht asphaltierten Pisten mit einem Rad mit Rennradlenker unterwegs zu sein. Aber was ist Gravel eigentlich genau? Wenn man es genau nimmt, ist der Begriff „Graveln“ etwas irreführend. So wie 99 % aller MTB-Fahrer mit ihrem Rad nicht wirklich in den Bergen unterwegs sind, geht es beim Gravel nicht ausschließlich um das Fahren auf diesen nicht asphaltierten Pisten, wie man sie typischerweise im Mittleren Westen der USA findet. Eine viel treffendere Bezeichnung fürs Graveln wäre „überall fahren“ oder „Fahren auf unterschiedlichen Pisten“ oder „Ich bin schon seit Jahren so unterwegs und wusste nicht wie ich es nennen soll“. Allerdings ist nichts davon wirklich aussagekräftig, und da wir in einer Welt leben, in der die Aufmerksamkeitsspanne immer kürzer und die Notwendigkeit eines griffigen Slogans damit immer größer wird, bleibt uns Graveln als Begriff wohl erhalten.

Fährst du Gravel?

Auch wenn es in den USA einige Gravel-Fahrer gibt, die vom Glück begünstigt sind, weil diese endlosen und leicht zu befahrenden Gravel-Pisten direkt vor ihrer Haustüre liegen, führt eine Gravel-Tour in anderen Gegenden der Welt in der Regel über eine Reihe von Pisten mit ganz unterschiedlicher Beschaffenheit. Vielleicht geht es auf Asphalt los, aber dann führt der Weg über einen Singletrail oder Feldweg oder sogar über Pflastersteine. Einer der größten Vorteile von Gravel besteht darin, auf einer Tour eine schier endlose Vielfalt an unterschiedlichen Pisten befahren zu können. Und immer gibt es irgendwo ein Café, in das man einkehren kann. Schließlich ist es ohne Kaffee und Kuchen nicht wirklich eine gelungene Tour.

Neben der Mischung unterschiedlichster Pisten fällt dir beim Graveln vielleicht auch noch die Ruhe unterwegs auf. Das ist es, worum es bei Gravel hauptsächlich geht: viel befahrene Straßen und den ganzen Verkehr hinter sich zu lassen. Sogar mitten in einer Großstadt gibt es oft direkt vor deiner Haustüre schöne Touren auf nicht asphaltierten Straßen, auf denen kein Verkehr herrscht.

Schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts versuchen Radfahrer, mit ihren Rennrädern dem Verkehr zu entfliehen. Ursprünglich waren es französische und belgische Profifahrer, die für ihr Training im Winter die unbefestigten Feldwege zwischen den Dörfern für sich entdeckt hatten. Später kamen Gelände-Touren dazu und es formierten sich Gruppen wie die Rough Stuff Fellowship in Großbritannien. Als nächstes wurde auf dem europäischen Kontinent das Cyclocross erfunden. Bei diesen nur im Winter veranstalteten Rennen mussten die Fahrer oft von ihrem Rad abspringen, um Hindernisse zu überwinden. Die Räder waren damals nicht wirklich gut ausgestattet und boten ein recht unruhiges Fahrverhalten. Trotzdem entwickelte sich Cyclocross für viele Radfahrer zu einem sehr beliebten Wintersport. In den USA entwickelten sich die Dinge oft fast gleichzeitig. Der einzige Unterschied bestand in dem zu Europa doch recht unterschiedlichen Gelände und so etablierte sich hier für das Fahren von Rädern mit Rennradlenker abseits der Straßen ein anderer Begriff – Gravel-Biking. Die breiten, geraden und leicht zu befahrenden Schotterpisten im Mittleren Westen der USA waren vermutlich der Ausgangspunkt für die Entwicklung der Gravel-Szene.

Anfang der 2000er begannen die ersten Fahrer damit, ihre Rennräder zu modifizieren, um sie geländetauglich zu machen und reizten dabei das Reifenvolumen bis zum Maximum aus. Um die Vibrationen im Lenker zu dämpfen, verwendeten sie doppellagiges Lenkerband. Die Schaltungen wurden individuell angepasst, um sie robuster zu machen. Nach und nach wurden erste Radhersteller auf diese Entwicklung aufmerksam und fertigten die ersten geländegängigen Räder mit Rennradlenker an. Ursprünglich war es ein wilder Mix mit Cyclocross-Rädern, doch durch geschickte Anpassungen des Designs ließen sich die Räder mit einem größeren Reifenvolumen ausstatten. Dank ihrer veränderten Geometrie zeigten sie auch bei höheren Geschwindigkeiten ein ruhiges Fahrverhalten.

Ab 2010 nahmen die Entwicklung dann an Fahrt auf. In den USA lösten Gravel-Rennen einen gewaltigen Trend aus. Veranstaltungen mit über 1.000 Fahrern wurden nach und nach zur Regel. Die Radhersteller nahmen diesen Trend auf und ab da blühte die Gravel-Szene erst richtig auf. Schließlich kamen auch die Hersteller von Komponenten mit an Bord. Schon bald waren spezielle Reifen, haltbarere Schaltungen, Gravel-spezifische Bekleidung und Schuhe erhältlich, sowie neu entwickelte, leichte Scheibenbremssysteme und Komponenten, die mit den schlammigen und sandigen Bedingungen besser zurechtkamen.

Gegen Ende der 2010er Jahre war Gravel das am schnellsten wachsende Segment des Radmarkts. So gut wie jeder Hersteller hatte ein Gravel-Bike im Angebot und viele sogar mehr als nur eins. Gleichzeitig entstanden auch viele verschiedene Arten des Gravelns – Rennen, Bikepacking/Touren/Abenteuer, Ultra-Endurance und das gute alte Trail-Fahren. Irgendwann tauchten auch E-Gravel-Bikes auf der Bildfläche auf. Trotz all dieser Diversifizierung und der unglaublich großen Auswahl an Rädern und Ausrüstung hat sich eins jedoch nicht verändert – beim Graveln geht es um Spaß.

Das Großartige am Graveln ist, dass du kein spezielles Gravel-Bike brauchst, um es zu genießen. Es kommt nur darauf an, dass dein Rad gut in Schuss ist und über das größtmögliche Reifenvolumen verfügt, das sich daran montieren lässt. Warum du dich für ein Gravel-Bike entscheiden solltest? Weil es unglaublich Spaß macht, mit einem solchen Rad unterwegs zu sein! Wegen der fehlenden Federung und der abgespeckten Komponenten sind sie recht leicht und bieten ein sehr lebendiges Fahrgefühl. Außerdem lassen sich Anstiege mit ihnen leichter bewältigen als mit herkömmlichen Offroad-Bikes, wobei sie jedoch gleichzeitig robuster und zuverlässiger sind als Rennräder. Bei Gravel besteht ein Teil des Vergnügens in der Beschränkung auf das Wesentliche – das sogenannte Underbiking, bei dem ein Rad nicht wirklich optimal für die Pisten geeignet ist, auf denen du unterwegs bist, was wiederum einen ganz besonderen Reiz ausmacht. Wenn du auf einem Trail fährst, der dir mit einem vollgefederten Mountainbike eher langweilig erscheint, wird er mit einem Gravel-Bike gleich wieder herausfordernder und dein Erfolgserlebnis dadurch größer. 

Ein Gravel-Bike ist wie ein Chamäleon – fährst du damit auf der Straße, ist es fast so schnell wie ein Rennrad. Im Gelände hingegen kommst du damit fast so gut zurecht wie mit einem Mountainbike. Allerdings macht ein Gravel-Bike überall mehr Spaß. Du kannst damit problemlos von der Straße auf einen Trail abbiegen, einfach weil du wissen möchtest, wohin er führt. Oder du baust in deine Tour einen asphaltierten Radweg ein, weil du noch rechtzeitig im Café ankommen möchtest, bevor es schließt. All das ist Teil des Gravel-Vergnügens.

Müssten wir mit einem Wort die vielen Gründe zusammenfassen, warum du unbedingt das Graveln ausprobieren solltest, die Antwort wäre „Spaß“. Es gibt dir Gelegenheit, neue Gegenden zu erkunden, die du noch nicht kennst. Es hilft dir, dem Lärm der Stadt und ihrem Verkehr zu entfliehen. Du kannst auf einer Vielzahl von unterschiedlichen Pisten unterwegs sein. Und vielleicht am wichtigsten: du kommst danach mit einem breiten Lächeln im Gesicht nach Hause. Und darum geht es doch beim Fahrradfahren, oder nicht?


Über den Autor

Olly Townsend ist Redakteur von Gravel Union und träumt sein ganzes Leben lang schon vom Graveln. Er lebt in Großbritannien, hatte jedoch das Glück, schon überall auf der Welt mit einem Gravel-Bike unterwegs zu sein.

Alle Bilder mit freundlicher Genehmigung von Olly Townsend/Gravel Union

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